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«Es hat mir geholfen, mein Suchtverhalten besser zu verstehen und Ziele für mein eigenes Konsumverhalten festzulegen und umzusetzen.»
G. D.

27.08.2025

Flucht ins Gamen

Alessandro Bianchi ist süchtig nach Computerspielen. Der 47-Jährige hat in seinem Leben schon immer alle Leidenschaften exzessiv betrieben, auch die sportlichen Hobbys.

Flucht ins Gamen

Alessandro Bianchi gamt seit sechs Jahren. Dabei kommt er auf eine Gesamt-Spielzeit von 13'000 Stunden – das sind sechs Stunden täglich. «Sehr schockierend », sagt er. Sein Lieblingsspiel Rust hat er bereits mehr als 4287 Stunden gespielt (Screenshot: PD).

Sabine Arnold

Fühlt sich Alessandro Bianchi (Name geändert) beim Arbeiten unsicher oder frustriert ihn etwas, dann kann er kaum den Abend erwarten, um sich zu Hause endlich an den Computer zu setzen und zu spielen. «Im Game weiss ich genau, was ich zu tun habe. Ich kenne die Regeln. Mir gefällt die Anonymität beim Spielen, wo ich mit einem Nickname unterwegs bin und auch Fehler machen darf. Beim Spielen kann ich den Frust vergessen und abschalten.»

Der 47-Jährige trägt Turnschuhe und T-Shirt. Er spielt sogenannte Survival-Games, in denen er mit einer Spielfigur in einer feindlichen Welt unterwegs ist und ums Überleben kämpfen muss. Seine Lieblingsspiele sind Rust und DayZ. Die Spieler müssen in diesen Multiplayer-Online-Games Ressourcen sammeln, Werkzeuge und Waffen herstellen, eine Basis bauen und sich gegen andere Spieler behaupten, um am Leben zu bleiben. Rust ist bekannt für eine der «toxischsten Communitys überhaupt», wie Bianchi sagt. Ihns interessiert daran, «dass man in kurzer Zeit alles verlieren, aber auch alles gewinnen kann». Im Durchschnitt spielt er jeden Tag mindestens fünf Stunden. In seiner schlimmsten Zeit waren es aber auch schon 14 Stunden täglich und das monatelang.

Burnout und Sucht 

Bianchi erlitt vor wenigen Jahren ein schweres Burnout. In diesem Zusammenhang flüchtete er in die Welt der Computerspiele. Bemerkenswert ist, dass er in der schwierigsten Zeit zwar nicht mehr arbeiten, sich beim Gamen jedoch ohne weiteres zehn Stunden konzentrieren konnte. In der psychischen Krise verlor er alles, was er sich zuvor aufgebaut hatte, seinen eigenen Betrieb – er war als Handwerker selbständig –, seine Beziehung und auch seine Gesundheit.

Eine Fachperson empfahl ihm die Suchtfachstelle Zürich. Seit eineinhalb Jahren kommt er wöchentlich hierher in die Therapie. Er habe viel über sich selbst gelernt, wie die Mechanismen seiner Sucht funktionieren, wie er sie schönredet und sich selber belügt. Inzwischen geht es in den Gesprächen nicht mehr primär um seine Sucht, sondern auch um die Probleme, die darunter liegen. 

«Beim Gamen ist der Ausschlag an Emotionen, den man erleben kann, so viel grösser als zum Beispiel auf einer Wanderung.»
Alessandro Bianchi, Gamer

Trotzdem möchte er nicht aufs Spielen verzichten. Er versucht, auf konstruktivere Spiele auszuweichen, zum Beispiel auf eines, in dem er eine dreidimensionale Welt aufbaut, eine Kulisse für ein Spiel. Seine Suchtberaterin lässt dies jedoch nicht gelten, schliesslich verbringe er ebenfalls Zeit am Bildschirm. Sie rät ihm vielmehr, dass er alte Hobbys wiederbeleben, ein «Dopamin-Menü» ausarbeiten soll mit Aktivitäten, die ihm Spass machen, zum Beispiel schwimmen mit Freunden, Ping Pong spielen oder im Schrebergarten arbeiten. Für ihn angenehme Tätigkeiten, in denen sein Gehirn den Belohnungsstoff Dopamin ebenfalls ausschüttet. Und das gelingt Alessandro Bianchi immer besser.

Aber er will es nicht schönreden: «Beim Gamen ist der Ausschlag an Emotionen, den man erleben kann, so viel grösser als zum Beispiel auf einer Wanderung.» 

Der intelligente Overthinker sagt, er profitiere vor allem vom Wissen, das ihm die Therapeut*innen vermitteln. Zum Beispiel erkennt er sich in der Theorie wieder, dass er auf einen Kontrollverlust stets erst spät reagiert, wenn die Wut schon in ihm brodelt. Besser wäre es, einem Gegenüber die Grenzen frühzeitig aufzuzeigen, ruhig und bestimmt. Sein Ziel ist es, ein Fels in der Brandung zu werden.

Ping Pong, Schach, Online-Games

Der Weg, auf dem der über 40-Jährige zum Gamen kam, erstaunt: Er spielte exzessiv Ping Pong und suchte auf Youtube ein Erklärvideo, wie man am besten einen Top Spin spielt, einen Angriffsschlag mit Drall, der schwierig abzuwehren ist. Daneben wurde ihm ein gut gemachtes Video über einen Schach-Champion vorgeschlagen. Alessandro Bianchi, der das Spiel als Kind von seinem Vater gelernt hatte, blieb hängen. «Hätte ich damals nicht auf dieses Video geklickt, hätte ich heute keinen Gamer-PC zu Hause.» In einer ersten Phase spielte er nur noch Online-Schach und rutschte in eine Spielsucht. Es ging so weit, dass es ihn nervte, wenn seine Freundin fragte, ob er auch ins Bett komme.

Alessandro Bianchi denkt viel nach, er vergleicht Schach mit seinem liebsten Online-Game Rust: «Ersteres hat in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert, gilt als Geistesbildung und sogar als Sport. Rust hingegen ist in Verruf geraten. Unter dem Strich versucht man aber in beiden Spielen, mit durchdachten Strategien den Gegner zu zerstören.»

Kritischer Geist in guter Gesellschaft

Der 47-Jährige, der erst spät zum Gamen kam, fühlt sich in der Gemeinschaft der Gamer wohl. Während er spielt, folgt er meist parallel per Stream einem Profi-Gamer, der sein Spiel live mit der Community teilt. Alessandro Bianchi kennt einige der Stars persönlich, schreibt sie auch mal direkt an und teilt etwas über sich mit. Häufig erhält er darauf positives Feedback. Die Profis freuen sich, auch mal etwas Persönliches von einem Fan zu erfahren. 

Alessandro Bianchi verherrlicht aber auch das Gamen nicht. Das Perfide an den Survival-Spielen sei: «Sie sind nie fertig. Wenn du den Computer ausschaltest, schläft deine Spielfigur, kann aber von anderen überfallen werden. Es gibt Jugendliche, die mit Kopfhörern schlafen, um die Plünderung ihrer Basis nicht zu verpassen.» So weit geht Bianchi nicht. Wenn er heute den Computer auf Off schaltet, nimmt er einen Überfall in Kauf. Er würde Warnungen sinnvoll finden, die auf sogenannte Grinder-Games hinweisen: Spiele, in denen man nur Erfolg haben kann, wenn man mindestens fünf Stunden täglich spielt. 

suchtfachstelle Zürich Blog

Auch mit dem Survival-Game DayZ verbringt Alessandro Bianchi viel Zeit, bisher waren es 6647 Stunden.

Schon immer massloss

Wie bei allen Süchten ist die Dosis entscheidend. Alessandro Bianchi sagt über sich selbst: «Ich war schon immer ohne Mass. Alles, was mir Spass machte, übte ich exzessiv aus.» Neben Ping Pong und Schach war das früher Skaten. Als Jugendlicher und junger Erwachsener fuhr er derart gut Skateboard, dass er sogar an Weltmeisterschaften teilnehmen durfte. Er übte in jeder freien Minute. Während seiner Lehrzeit litt seine schulische Leistung darunter. Als sein Lehrmeister seine Mutter wegen schlechter Noten zum Gespräch einlud, erklärte ihm diese, ihr Sohn fahre auf Weltmeisterniveau. Der Vorgesetzte wusste nichts davon.

Alessandro Bianchi erlebte eine schwierige Kindheit mit viel Gewalt. Er sagt, er habe nicht mehr viele konkrete Erinnerungen daran, habe wohl Einiges verdrängt. Seine Überlebensstrategien waren jedenfalls das exzessive Skaten, das Spielen und – Melodien zu pfeifen. Auch heute noch pfeift der 47-Jährige Lieder und lenkt sich ab. Ein Kollege fragte ihn einmal, ob er denn so fröhlich sei, dass er immer pfeife. Er erwiderte: «Nein, ich pfeife, weil ich so traurig bin.»

Zwischen Weltschmerz und Unkraut jäten

Tatsächlich leidet der Handwerker, der sich zurzeit mit Unterstützung der IV zum Planer umschulen lässt, unter grossem Weltschmerz. Inzwischen wurde ihm auch ein ADHS diagnostiziert. Er kann negative Schlagzeilen wie zum Beispiel die verschiedenen Kriege nicht ausblenden. Fragt man ihn nach seiner grössten Hoffnung, sagt er, er wünsche sich, dass die künstliche Intelligenz uns Menschen entmachte. – Wie bitte? «Ja, ich wünsche mir tatsächlich, dass künftig nicht mehr egoistische und machtgetriebene Menschen grosse Entscheidungen fällen, sondern Intelligenz und Logik unsere Geschicke bestimmen.» 

Alessandro Bianchi denkt immer in grossen Bögen und selten zuerst an sich. Was er sich für sich selbst wünsche? Erst auf wiederholtes Nachhaken, sagt er dann: «Ich würde gerne ein kleines Haus mit Garten besitzen.»

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