EN SP

Beratung & Therapie

Betroffene

Erwachsene

Individuelle Beratung/Therapie
Gruppenangebote
Ärztliche Sprechstunde
Ambulanter Alkoholentzug

Jugendliche

Individuelle Beratung/Therapie
Gruppenangebote

Angehörige

Partner*innen & Nahestehende

Individuelle Beratung
Gruppenangebote

Eltern

Telefonisches Elterncoaching
Wie schützen Sie Ihr(e) Kind(er)?
Gruppenangebot Kinder & Jugendliche

Kinder & Jugendliche

Was kannst Du tun?
Gruppenangebot Kinder & Jugendliche

Zuweisende Fachpersonen

Fortbildung & Coaching

Fach- und Führungspersonen

Lunch & Learn
Fortbildungen
Coaching
Fallbesprechung

Organisationen

Prozessbegleitung
Massgeschneiderte Fortbildung

Substanzen & Verhalten

Selbsttests

Über uns

Organisation

Leitbild
Verein
Spenden
Qualitätsmangement

Raumvermietung

Seminarraum (90 m²)
Gruppenraum 1 (29 m²)
Gruppenraum 2 (33 m²)
Infrastruktur & Preisübersicht
«Es hat mir geholfen, mein Suchtverhalten besser zu verstehen und Ziele für mein eigenes Konsumverhalten festzulegen und umzusetzen.»
G. D.

22.05.2025

Überraschend anders, überraschend ehrlich

Fabienne Weber war alkoholsüchtig und widerspricht gleichzeitig jedem Klischee. Sie ist jung, gut ausgebildet und eine Frau. Seit drei Jahren lebt sie abstinent und hat keine Angst vor Rückfällen.

Überraschend anders, überraschend ehrlich

Wild, bunt, lebensbejahend. Fabienne Weber wünschte sich einen farbigen Blumenstrauss zur Bebilderung ihrer Geschichte (Bild: Carrie Allen/Unsplash).

Sabine Arnold

Die junge Frau mit den leuchtend roten Lippen wirkt lebenslustig und selbstbewusst. Fabienne Weber (Name geändert) stellt ihre Handtasche ab und blickt dem Gegenüber in die Augen. Die Frau Mitte dreissig entspricht nicht dem Klischee der Alkoholikerin. Sie erzählt bereitwillig und überlegt. Immer wieder lässt sie im Gespräch Sätze fallen, die überraschen. 

Vor wenigen Jahren stürzte die Primarlehrerin an einem Apéro an ihrer Schule ab. Das wurde zu einer Wende in ihrem Leben, weil es ihr bis zu diesem Tag gelungen war, das Trinken und die Arbeit strikt zu trennen.

In ihren «Spitzenzeiten» trank sie abends jeweils eine Flasche Weisswein und eine Flasche Prosecco. «Der Alkohol nahm einen viel zu grossen Stellenwert in meinem Leben ein. Er stand sogar oftmals an erster Stelle.» Das heisst zum Beispiel, dass sie unbewusst den Abend vorausplante: Traf sie später ein Vis-à-vis, das nicht so trinkfreudig war wie sie, begann sie bereits vorher mit dem Trinken, um auf ihren Pegel zu kommen. Oder sie machte auf dem Nachhauseweg einen Umweg, um immer an einer anderen Tankstelle Nachschub zu besorgen.

Ein schleichender Prozess

Dabei schaffte die Lehrerin es, am nächsten Morgen wieder einigermassen munter vor der Klasse zu stehen. Hinkte ihr Körper doch einmal hinterher, behalf sie sich mit Aspirin und fettigem Essen, um spätestens um 11 Uhr wieder zwäg zu sein. 

Ihre Abhängigkeit entwickelte sich in einem «schleichenden Prozess», wie sie selbst sagt. Im beschriebenen Mass konsumierte sie ungefähr drei Jahre lang. Bei der Arbeit fiel sie nie aus dem Rahmen. Sie war sogar so streng mit sich, dass sie sich Alkohol im Schulkontext ganz verbot: Niemals hätte sie an einem Schulfest oder im Klassenlager, beim abendlichen Zusammensitzen mit den Kolleg*innen, ein Glas Wein oder ein Bier getrunken. 

Bis zum besagten Schul-Apéro. Nach diesem Schlüsselmoment war ihr klar, dass sie die Trennung zwischen Privat- und Arbeitsleben nicht mehr aufrechterhalten konnte. Sie schämte sich und beschloss, ihr Problem ernsthaft anzugehen. Von ihrer Anmeldung in der Forel-Klinik erfuhren nur ihr Vater und ihre beste Freundin. Fabienne Webers ursprünglicher Plan war, unterstützt vom Hausarzt, den Alkoholentzug zu Hause durchzuführen, um danach die fünf Wochen Sommerferien effizient für die sogenannte Entwöhnung zu nutzen. Ihre beste Freundin sprach ihr vor dem Eintritt noch ins Gewissen. Sie solle sich auf keinen Fall einbilden, etwas Besseres zu sein als die anderen Patient*innen. Das habe ihr enorm geholfen, sich auf das Setting einzulassen, sagt sie. «Ich dachte, ok, wir sitzen alle im gleichen Boot.»

«Ich habe ein ADHS, bin süchtig nach dem Kick, suche permanent nach neuen Reizen. Mir wird es bald langweilig und ich drohe, depressiv zu werden.»
Fabienne Weber, seit drei Jahren abstinent

In der zweiten Woche ihres stationären Aufenthalts verstand sie, dass sie «wirklich süchtig» ist. Sie lernte gleichzeitig, dass Sucht eine Krankheit ist und die Genesung nicht einfach werden wird. Diese Komplexität erlebte sie interessanterweise als Entlastung, weil sich ein grosses Feld aufgetan habe. «Ich merkte: Nicht zu trinken, reicht nicht. Ich brauche in Zukunft präventive Strategien, um damit umzugehen, was mit dem Alkohol verknüpft ist, und konnte Hilfestellungen besser annehmen.» 

Ausserdem wurde ihr in der Klinik eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert, was sie als Beeinträchtigung bezeichnet, die viel mit ihrer Sucht zu tun hat. Weber ist süchtig nach dem Kick, sie sucht permanent neue Reize, sonst wird es ihr langweilig. Und aus der Langweile könnte sie in eine Depression abrutschen. Wenn ihr früher das «normale» Leben nicht mehr reichte, trank sie. «Alkohol machte Vieles lässiger. Ausserdem half er mir, abends, nach fast acht Stunden Präsenz, von meinem hohen Energielevel runterzukommen.» Sie bezeichnet Alkohol sarkastisch als «super Medikament». Es tröstete sie nach einer schmerzhaften Trennung und half ihr gegen Trauer, Einsamkeit und Selbstzweifel. Fabienne Weber kommt aus einer zerrütteten Familie, ihre Mutter war psychisch erkrankt, die Eltern trennten sich früh. Sie wuchs bei ihrem Vater auf. Sie glaubt, dass diese schlechteren Startchancen auch ein Risikofaktor für ihre Suchterkrankung waren.

Mit dem Trinken begann sie wie die meisten Menschen bereits in der Schule, im Ausgang, an Partys, zusammen mit anderen. Als Absolventin eines Kunst-Gymnasiums war ihr das verklärte Bild der «trinkenden Künstlerin» vertraut und sie begann deswegen, auch alleine zu Hause zu trinken. Ihre Freundinnen taten dies ebenfalls. Was Fabienne Weber aber nicht wusste, war, dass sich ihr Trinkverhalten stark von dem der anderen unterschied. Sie hörte nicht auf, bevor die Flasche leer war. 

Darüber sprechen beseitigt die Heimlichkeit

Aus den fünf Wochen Klinikaufenthalt wurden schliesslich zwölf. Ihr Vorgesetzter, der Schulleiter, reagierte verständnisvoll, als sie ihn rechtzeitig aus der Klinik anrief, um ihm mitzuteilen, dass sie nicht nur ein Burnout habe, sondern auch eine Alkoholentwöhnung mache. «Er sagte, er melde mich bis zu den Herbstferien ab. Ich solle mir Zeit lassen.» Heute noch sei er die Person, die an den Schul-Apéros alkoholfreie Alternativen besorge. Ausser ihm kennen nur wenige vertraute Menschen ihre Suchtvergangenheit. 

«Zu Beginn der Entwöhnung dachte ich noch, ich werde den Alkohol vermissen. Beim Austritt dachte ich: Zum Glück muss ich nicht mehr trinken!» Diese Erkenntnis hat alles geändert. Alkohol ist in Webers Leben nicht mehr präsent. Sie muss ihm auch nicht ausweichen. Ihr Freund*innen dürfen vor ihr trinken und sogar Alkohol zu ihr nach Hause mitbringen. Sie kommt nie in Versuchung.

Trotzdem meldete sich Fabienne Weber noch von der Klinik aus bei der Suchtfachstelle Zürich zur Nachsorge an. Zuerst traf sie ihre Suchttherapeutin alle zwei Wochen. Inzwischen sind es noch alle drei bis vier Wochen. Mit ihr bespricht sie, wenn der Alkohol in ihrem Denken wieder näher rückt, was aber nur etwa ein bis zwei Mal pro Jahr der Fall sei. Ohnmachtsgefühle, eine Situation aushalten zu müssen, viel zu tun zu haben und zu wenig Schlaf, könnten Auslöser sein – und eben diese gefährliche Langeweile. Wenn sie dies ihrer Therapeutin mitteile, verblasse mit der Heimlichkeit auch die Gefahr. 

Neben der regelmässigen Therapie helfen ihr auch andere Strategien: rennen, mit Shiatsu Entspannung lernen, die Pflege ihrer Balkonblumen, genug schlafen, regelmässig essen, achtsam mit ihrer Energie zu haushalten – und in Verbindung zu bleiben mit der Welt.

«Alkoholiker*innen nerven mega.»
Fabienne Weber, Ex-Alkoholikerin

Die Mittdreissigerin erfüllt auch bezüglich Rückfallgefahr kein Klischee. Sie sagt: «Trocken zu sein, ist für mich weder streng noch ein Kampf.» Anders als andere Betroffene war sie deshalb nie von einem Rückfall betroffen. Das Rauf-und-Runter habe sie eher vor dem Entzug gekannt. 

Eine Selbsthilfegruppe besucht sie nicht, «weil mich Alkoholiker*innen mega nerven». Wieder so ein Satz! Sie probierte Selbsthilfegruppen aus, aber: «Der missionarischer Eifer einiger Betroffener, mit dem sie andere zur Abstinenz bekehren wollen, oder ihr ewiger innerer Kampf schrecken mich ab.» Ausserdem erachte sie das Kreisen rund ums Thema Alkohol nicht als förderlich. Dieses Personen hätten ihren Fokus immer noch auf dem Alkohol statt auf etwas anderes verschoben. Fabienne Weber kann sich aber bestens mit ihrem Partner austauschen, der ebenfalls eine ADHS-Diagnose hat und sie in Vielem gut versteht.

Ist Fabienne Weber jetzt gesund? Sie traue es sich fast nicht zu sagen, aber ja, sie fühle sich gesund. «Gleichzeitig werde ich mein Leben lang Prävention betreiben müssen, um die gute Lebensqualität zu erhalten, die ich jetzt habe.» 

Unsere Website verwendet Cookies, um sie nutzerfreundlich und zuverlässig bereitstellen zu können. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

OK